Expertenbeiträge
 
Verständigungshindernisse trotz internationalen Produktionsstandards
Autor: Joanne Huang
 

Seit geraumer Zeit verlagern Konzerne und Großunternehmen ihre Produktion ins Ausland, um Herstellungskosten zu reduzieren und neue Absatzmärkte zu erschließen. Dieser Globalisierungstrend ist heute auch verstärkt im Mittelstand zu beobachten. Die Schwierigkeiten beim Auslandsgeschäft liegen nach Einschätzung vieler Experten weder am technischen Verlauf noch an der Durchführung, sondern an den personellen Ressourcen und der fremden Geschäftsumwelt. Abgesehen von anderen Markt-, Branchen- und Unternehmenskonditionen müssen die Projektleiter im Ausland zusätzliche Einflussfaktoren bei der Projektdurchführung in Betracht ziehen: die Andersartigkeit der operativen Arbeits- und Entscheidungsabläufe, die Gesetzgebung, Geschäftsgepflogenheiten und kulturelle Einflussfaktoren wie Werte, Denkweisen und Erwartungshaltungen.

Nicht zuletzt könnten gravierende Fehlentscheidungen getroffen werden aufgrund falscher Bewertung nützlicher oder irreführender Informationen und inkorrekter Einschätzung bestehender Rahmenbedingungen.

Heutzutage ist in der Wirtschaft und Industrie vieles standardisiert. Weltweit herrscht freie Marktwirtschaft, und es werden einheitliche Qualitätskriterien und Standards für Waren, Technologien und Dienstleistungen eingeführt. Sieht man sich allerdings in verschiedenen Ländern genauer an, was tatsächlich unter den Termini "Messungskriterien" und "Qualität" verstanden wird, dann zeigt sich trotz aller messbaren Angaben die bestehende Kluft bei Denkmustern und Wahrnehmungsprozessen.



Fotoquelle: Istockphotos

Beispiel: Die maximale Leistungstoleranz von Solarmodulen wird mit maximaler Abweichung der Nennleistung von plus/minus fünf Prozent angegeben. Ein chinesischer Modulhersteller produzierte daher genau nach dieser Angabe. Alle hergestellten Solarmodule, die mit einer Leistung von 300 W angeboten werden, haben eine tatsächliche Leistung von ca. 285 W.

In der Projektplanung gibt es klare Termine für Projektmeilensteine, und alle Beteiligten sind darüber informiert. Soll sich der Projektmanager nun darauf verlassen, dass sich indische Kollegen automatisch an die vereinbarten Termine halten und die Aufgaben pünktlich erledigen, oder ist eine laufende Kontrolle besser? Soll man daraus schließen, dass Inder nicht dazu fähig sind, selbstständig zu arbeiten, oder könnte es vielmehr sein, dass sie die vereinbarten Termine nur als grobe Orientierungshilfe wahrnehmen?

Wenn man z.B. von international gültigen Termini wie DIN für das Produkt, sowie EN ISO, ISO, QS oder ISO/TS für den Produktionsprozess spricht, glauben alle, von identischen Begriffen zu reden. Die Qualitätsauffassungen und die Prioritäten für die Kriterien variieren jedoch von Land zu Land. Man sollte sich sehr genau darüber im Klaren sein, ob mit dem Ausdruck "Produktqualität" nur das Objekt "Ware", oder das Produkt im "erweiterten Sinn" gemeint ist.

"Die Uhren im Ausland ticken anders". Auslandsprojekte sind stark mit (Ver-)Änderung und Risiken verbunden. All dies bedeutet nun keineswegs, dass bei einem Auslandsprojekt zwangsläufig eine komplizierte Lage entsteht. Eine systemische Einstellung zusammen mit Aufmerksamkeit und viel Fingerspitzengefühl gewährleisten jedoch einen größeren Handlungsspielraum und vermindern möglicherweise bereits im Vorfeld Risiken und Konflikte.


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